Wenn Lehrkräfte verzweifeln: Die IGS Stöcken schlägt Alarm

Gewalt, Vandalismus, Bedrohungen: Die IGS Stöcken in Hannover schlägt Alarm. In einem Hilferuf an die Schulbehörde beklagen Lehrkräfte die Situation an der Schule.

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Brennpunktschule mit Schülern aus 40 Nationen

Fast täglich müssten Schüler oder Schülerinnen vom Unterricht ausgeschlossen werden, heißt es in dem Brief. Das Schulpersonal habe keine Kraftreserven mehr. Erst im Dezember hatten Lehrkräfte der IGS Büssingweg in Hannover in einem Brandbrief an Behörden und Politik über Gewalt und Vandalismus an der Schule geschildert - und um Hilfe gebeten.

Die IGS Stöcken gilt als sogenannte Brennpunktschule. Rund 900 Schülerinnen und Schüler aus geschätzt 40 Nationen besuchen die Schule, die für viele kein entspannter Ort zum Lernen ist. Ein Beispiel von vielen: Der Brief eines Vaters an die Schulleitung vom Januar: "Seit einigen Tagen beschwert sich unser Kind über seinen Alltag an der Schule. Er wird ständig belästigt, beleidigt, gemobbt, bedroht und geschlagen."

Toiletten werden gemieden - wegen angeblicher Filmaufnahmen

Die Lehrkräfte bestätigen Schülerberichte, wonach einige Schüler ständig Messer oder andere Waffen bei sich tragen würden. Vor einiger Zeit sei, so steht es in dem Brief an den Schulträger, ein Kind außerhalb der Schule mit einer Eisenstange bewusstlos geschlagen worden. Nach einem Krankenhausaufenthalt habe es sich nicht mehr in den Unterricht getraut. Viele Schüler meiden die Toiletten, weil sie dort belästigt und gefilmt würden. Die Videos würden dann in den sozialen Netzwerken auftauchen.

Mit solchen Hinweis-Zetteln wirbt die Schule für einen gewaltfreien Umgang. In dem Schreiben heißt es außerdem: "Homosexualität und sexuelle Diversität widersprechen der religiösen Auffassung nicht weniger Schülerinnen und Schüler. Für sie und ihre Familien hat ihre diesbezügliche Religionsauffassung einen höheren moralischen Stellenwert als unser Grundgesetz. Entsprechende Programme zur Toleranz stoßen auf Widerstand."

Familien vermitteln ein bestimmtes Bild von Männlichkeit

Anja Mundt-Backhaus ist Didaktische Leiterin der IGS. Sie und ihre Kollegen und Kolleginnen, sagt sie "…gucken da hin, wir kümmern uns, aber wir kommen nicht mehr hinterher. Es ist einfach zu viel geworden." Der Fehler im System beginne in den Familien. Dort werde den Kindern oft ein Männlichkeitsbild vermittelt, das Gewalt für legitim, für männlich hält, so beschreibt es eine Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen. Später würde die Peergroup den Ton angeben, in dem sich Jungen, aber auch Mädchen behaupten müssten.

Die Familien der Täter seien oft schwer zu erreichen, sagt Backhaus. "Wir haben es hier überwiegend mit bildungsfernen Eltern zu tun. Viele haben auch tatsächlich Ressentiments gegenüber Schule. Viele sprechen kein Deutsch oder nicht ausreichend Deutsch, so dass wir mit ihnen nicht vernünftig arbeiten können, weil wir keine Dolmetscher haben." Ein Vorbild sind wohl einige kaum. Eltern hätten sich, so beschreibt es die Schule, auf dem Schulhof schon geprügelt.

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Schule fordert Sicherheitsdienst - Stadt lehnt ab

Die Liste der Maßnahmen, die nach Ansicht der Schule nötig wären, um eine Besserung herbeizuführen, ist lang. Aber fürs Erste fordert die Schule einen Sicherheitsdienst für den Schulweg und den Pausenhof. Die Stadt Hannover ist der Schulträger und Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) hält nichts von Sicherheitsdiensten. Das könne nur eine vorübergehende Maßnahme sein. Er wolle keine amerikanischen Verhältnisse, weil sie die Gewaltspirale befeuern würden, zumal auch ein Sicherheitsdienst nicht die Befugnis hätte, Taschenkontrollen durchzuführen. Stattdessen brauche es ein "Commitment, eine gemeinsame Verabredung mit den Schülerinnen und Schülern, dass Gewalt verbannt wird."

Anja Mundt-Backhaus meint, dass sie das ja schon seit Jahren versuchen. Nur alle bisherigen Bemühungen scheinen nicht gefruchtet zu haben. Es brauche mehr, zum Beispiel: Kleinere Klassen, mehr Personal für die Gestaltung von Pausenangeboten, mehr Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter, bauliche Veränderungen in den Toiletten, um Filmen und Fotografieren zu unterbinden, deutlich mehr Mittel für Gewaltprävention und Dolmetscher.